Ohne Förderung der Thüringer Schulen geht dem Handwerk der Nachwuchs aus

Der Thüringer Handwerkstag (THT) e. V. kam in seiner Vorstandssitzung am 18.04.2023 im inregia Center Dingelstädt mit Helmut Holter, Thüringer Minister für Bildung, Jugend und Sport, zusammen. Im Mittelpunkt des Dialogs standen die neusten Entwicklungen und Herausforderungen in der Bildung sowie die Zusammenarbeit mit dem Thüringer Bildungsministerium.

Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik: Der Fachkräftemangel plagt vor allem Betriebe mit Schwerpunkt im MINT-Bereich. Aber auch die Thüringer Schulen und Berufsschulen suchen in diesen Fächern verzweifelt nach Lehrkräften. Allein an den berufsbildenden Schulen in Deutschland fehlen derzeit zwischen 10.000 und 15.000 Lehrkräfte. In den nächsten Jahren werden perspektivisch noch mehr Lehrerinnen und Lehrer aus dem Berufsleben ausscheiden als ausgebildete Pädagogen nachrücken. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung prognostiziert, dass bis zum Jahr 2030 allein an den berufsbildenden Schulen bis zu 60.000 Lehrerinnen und Lehrer benötigt werden.

„Nach der Einschätzung des Thüringer Handwerkstag ist die Belastungsgrenze an vielen Thüringer Schulen und Berufsschulen bereits überschritten. Trotz einer wachsenden Zahl an Überstunden sind Unterrichtsausfälle an der Tagesordnung. Klassen werden gestrichen oder zusammengelegt, weil es nicht genügend Lehrpersonal gibt. Das sind die Klagen, die uns von Schülern, Eltern und Handwerksbetrieben erreichen“, richtete Stefan Lobenstein, Präsident des Thüringer Handwerkstag, seine Sorgen an Bildungsminister Holter. Besonders betroffen vom Lehrermangel seien die MINT-Fächer. Und damit die Kernfächer für alle Handwerksberufe. Eine echte Herausforderung, denn nur spezifisches Personal kann das benötigte Fachwissen korrekt vermitteln.

Die Vertreter des Handwerks begrüßten zugleich die am 17. März in der Kultusminister-Konferenz beschlossenen, gemeinsamen Maßnahmen der Bundesländer zur Behebung des Lehrkräftemangels. Demnach sollen Lehramtsstudiengänge weiterentwickelt, der Studienzugang für Quer- und Seiteneinsteiger (z. B. Handwerksmeister) erleichtert und eine Anerkennung für im Ausland erworbene Abschlüsse verbessert werden. Darüber hinaus will die Thüringer Politik Lehrkräfte von Verwaltungsaufgaben entlasten. Gemeinsam mit dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) drängt der THT insbesondere auf die Stärkung von Lehramtsstudiengängen für berufsbildende Schulen: „Hier unterscheidet sich das strukturelle Defizit im negativen Sinne deutlich vom Bereich der Gymnasien. Unsere Berufsschulen dürfen sich nicht immer mehr zu den Stiefkindern des Bildungssystems entwickeln“, mahnte Lobenstein an. „Fakt ist: Die Thüringer Handwerksbetriebe brauchen die Schulen und Berufsschulen als verlässliche Partner. Die mangelhafte Lehrerversorgung geht zu Lasten der Auszubildenden und damit der Qualität der beruflichen Ausbildung im Freistaat insgesamt.“

„Tag in der Praxis“ soll im Schulgesetz verankert werden

Als weiteres Thema stand die Berufsorientierung auf der Agenda des Treffens. Berufliche Bildung, so die Vertreter des THT, müsste bei der Berufsorientierung immer und an allen allgemeinbildenden Schulen – und besonders auch an Gymnasien – fester Bestandteil sein, um Jugendliche beim Übergang in eine Ausbildung zu unterstützen. Die Thüringer Landesstrategie zur beruflichen Orientierung beziehe sich jedoch ausschließlich auf allgemeinbildende Schulen. Ziel müsse es sein, die Landesstrategie mittelfristig auch für diese Klassen zu öffnen, da Abiturienten seltener in eine Ausbildung übergehen.

Bildungsminister Holter nahm die Sorgen und Wünsche des THT auf. Er kündigte an, dass alsbald möglich ein neues Berufsorientierungsprogramm an den Thüringer Schulen Einzug halten soll. Der bereits mancherorts praktizierte „Tag in der Praxis“ soll künftig zur Regel werden und die Schülerinnen und Schüler aus den achten Klassen an allen Regelschulen, Gemeinschaftsschulen und Gesamtschulen an einem Tag pro Woche mit verschiedenen Berufen in Verbindung bringen. Ein entsprechender Gesetzesvorschlag werde derzeit im Landtag diskutiert. Für einen Zeitraum von insgesamt drei Monaten werden die Schüler einmal wöchentlich in einem Betrieb mitarbeiten. Danach folgen drei weitere Monate in einem anderen Betrieb, über das ganze Schuljahr hinweg. Der THT begrüßte, dass bei diesem Projekt die Schüler im Mittelpunkt stehen und äußerte den Wunsch, dass der Tag in der Praxis auf die neunten und zehnten Klassen aller Schulformen ausgeweitet wird.

Ende der Abmilderungsverordnung für Prüfungen beschlossen

Weiterhin zeigte sich Stefan Lobenstein erfreut, dass Bildungsminister Holter auf Drängen des THT die in Thüringen vorübergehend geltende Abmilderungsverordnung für Prüfungen im kommenden Schuljahr auslaufen lassen möchte. Sie erlaubte Schülerinnen und Schülern bei Hauptschul-, Realschul-, BLF-Abschlussprüfungen (BLF=Besondere Leistungsfeststellung) bisher die Abwahl von einem der vier Kernprüfungsfächer (Mathematik, Deutsch, Fremdsprache, Naturwissenschaft). Da die meisten Schüler Mathematik oder Naturwissenschaften abwählen, beeinflusste das, so der THT, die Lernmotivation als auch die späteren Fähigkeiten der Schüler negativ.

Die Veranstaltung fand im inregia Center in Dingelstädt statt. Der innovative und moderne Veranstaltungsort umfasst eine große Ausstellung, auf der sich zahlreiche Handwerksbetriebe mit exklusiven Meisterstücken auf 2.500 Quadratmetern Ausstellungsfläche der Öffentlichkeit präsentieren. Das Konzept hinter der Handwerkerausstellung ist ein durchschlagender Erfolg, der den ausstellenden Betrieben mehr Aufträge und mehr Auszubildende beschert.