November 2015 – Thüringer Handwerk -- archive.php --

Handwerkspräsident Lobenstein: „Wir brauchen klare Regeln und einen Master-Plan für die Integration“

Handwerkspräsident Lobenstein: „Wir brauchen klare Regeln und einen Master-Plan für die Integration“

Thüringer Handwerkstag widmete sich in Gera-Aga drängenden Fragen

„Die Integration tausender Asylbewerber und Flüchtlinge in Thüringen ist eine Mammutaufgabe und erfordert jetzt konkrete Maßnahmen. Jeder Tag ohne verlässliche Strukturen ist ein verlorener Tag. Das Thüringer Handwerk fordert daher eine transparente Beschleunigung der Asylverfahren, den Ausbau von Sprachkursen – hier können die Kammern mit Ihrer Infrastruktur unterstützen -, effektive Verfahren zur Kompetenzfeststellung sowie die Absetzung für Standards beim Arbeitsmarktzugang. Mindestlohn, Lohnkostenzuschuss oder Abschiebeschutz für Auszubildende sind Dinge, über die wir reden müssen.“ Dies sagte Stefan Lobenstein, Präsident des Thüringer Handwerkstags, am 4. November 2015 in Gera-Aga.

Beim „Handwerks-Talk“ tauschten sich die Mitglieder des Thüringer Handwerkstags zu Möglichkeiten aus, die Integration von Flüchtlingen konstruktiv zu begleiten. Als Experten waren Mirjam Kruppa, Landesbeauftragte für Integration, Migration und Flüchtlinge sowie Professor Dr. Behr, Abteilungsleiter Arbeit und Qualifizierung im Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie geladen. Sie bereicherten mit ihren Fach-Vorträgen den Austausch und stellten sich den Fragen der Anwesenden. Kruppa prognostizierte die Zahl der Flüchtlinge, die 2015 nach Thüringen kommen auf 18.000 bis 27.000. „Die tatsächliche Integration beginnt in den Kommunen, in denen Flüchtlinge nach Ihrer Registrierung in einer Landeserstaufnahmestelle untergebracht werden. Ein großes Problem ist, dass viele Flüchtlinge nach Ihrer Anerkennung in die westlichen Ballungsgebiete abwandern, da sie hier oft ihre Community und sozialen Anschluss finden“, so Kruppa. Dies bestätigte auch Professor Behr und äußerte die Befürchtung, dass Thüringen eine zweite große demografische Chance verspiele. Die große Zahl der Flüchtlinge werde den Fachkräftemangel in Thüringen nicht lösen. Sie würden jedoch erheblich zu einer Verbesserung der Bewerberlage beitragen, sofern geeignete Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen zeitnah eingeleitet würden, so Behr.

Mitgliederversammlung Thüringer Handwerkstag in Gera

Mitgliederversammlung Thüringer Handwerkstag in Gera

Volle Auftragsbücher und Willkommenskultur der Wirtschaft

„Konjunkturell erlebt das Thüringer Handwerk aktuell einen goldenen Herbst mit weiterhin guten Aussichten. Kammerübergreifend äußert sich eine große Mehrheit der befragten Betriebe sehr positiv zur Geschäftslage und berichtet über volle Auftragsbücher. Auch der Blick auf die nächsten Monate ist ungetrübt. Angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen das Handwerk im Freistaat steht, ist diese Einschätzung nicht selbstverständlich. Die Folgen des Demografischen Wandels, der Digitalisierungsschub, die Auswirkungen der Energiewende und vor allem die Integration von Schutz- und Asylsuchenden bewegen uns in starkem Maße.“ Dies sagte Stefan Lobenstein, Präsident des Thüringer Handwerkstages, am Rande einer Mitgliederversammlung am Mittwoch, 4. November 2015, in Gera.

„Die Integration von Flüchtlingen ist aktuell eine drängende Herausforderung für das Thüringer Handwerk. Wir wollen eine Thüringer Willkommenskultur der Wirtschaft voranbringen. Denn das Handwerk verfügt als zentraler regionaler Wirtschaftsmotor mit familiären Strukturen und hohem ehrenamtlichen Engagement über wichtige Integrationsvoraussetzungen. Arbeit und Ausbildung sind die beste Art und Weise Menschen in unsere Gesellschaft zu integrieren“, so Thomas Malcherek, Geschäftsführer des Thüringer Handwerkstag e.V.. Gleichzeitig sei eine zeitnahe Anpassung der Rahmenbedingungen notwendig. Das Thüringer Handwerk spricht sich daher für folgende Maßnahmen aus:

  • Bleibeperspektive für Flüchtlinge und Planungssicherheit für Betriebe (z. B. sicherer Aufenthalt für Ausbildungszeit und Weiterbeschäftigung für min. 2 Jahre)
  • Verbesserung des Zugangs für Sprach- und Integrationskurse: Sprache als Schlüssel für Einstieg in Berufs- und Alltagswelt
  • Transparente Anerkennung beruflicher Abschlüsse und Kompetenzen
  • Klärung der Wohnsituation und der Familienzusammenführung
  • Altersgrenze für geduldete Asylbewerber aus aktuellem Gesetz streichen bzw. auf 25. Lebensjahre anheben (aktuell 21 Lebensjahre)
  • Förderprogramme für Ausbildungs- und Berufsvorbereitungskurse (Umsetzung durch Berufsbildungszentren)
  • Straffung der bürokratischen Verfahren zur Klärung des Aufenthaltsstatus

Mit Mirjam Kruppa, Beauftragte für Integration, Migration und Flüchtlinge des Freistaats Thüringen, und Prof. Dr. Michael Behr, Abteilungsleiter für Arbeit und Qualifizierung im Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie werden versierte Kenner der aktuellen Lage mit den Mitgliedern des Thüringer Handwerkstag in Gespräch kommen.

Hintergrund

Der Thüringer Handwerkstag ist die Spitzenorganisation des Thüringer Handwerks und setzt sich aus 31 Landesinnungsverbänden, Fachverbänden und Landesinnungen sowie den drei Handwerkskammern zusammen.  Hauptaufgabe der THT ist die gesamthandwerkspolitische Interessenvertretung gegenüber dem Land und dem Bund.

Der THT vertritt die Interessen von über 31.000 Handwerksbetrieben mit rund 148.000 Beschäftigten und 6400 Lehrlingen. Mit einem Jahresumsatz von rund 14 Milliarden Euro gehört das Handwerk zu den wichtigsten Wirtschaftsbereichen Thüringens.  60 Prozent aller Betriebe finden sich im Bau sowie im Metall- und Elektrobereich. Mit 16 Prozent sind die Betriebe der Gesundheitshandwerke die drittstärkste Gruppe, gefolgt vom Holzgewerbe mit einem Anteil von 12 Prozent. Die Handwerke in den Bereichen Glas, Papier sowie Nahrung und Bekleidung machen zusammen 12 Prozent des Handwerks aus.